News & Presse
GEWALTESKALATION IM ARTIBONITE TAL
Gewalteskalation im Artibonite Tal - Hôpital Albert Schweitzer trotzdem offen für Verletzte und Kranke
Bis vor wenigen Wochen war das Artibonite Tal weitgehend vor Bandenkriminalität verschont, die in ganz Haiti bewaffnete Einbrüche, gewaltsame Entführungen, Vergewaltigungen und Morde verursacht. Leider hat die über hundertköpfige Bande in Savien auf der andern Seite des Artibonite Flusses nun ihre kriminellen Aktionen auch auf alle Dörfer in der Region des HAS ausgedehnt. Anfangs Februar wurden die sieben Polizisten in ihrer Polizeistation in Liancourt, einem Nachbardorf von Deschapelles ermordet. Die verbleibenden Polizisten im Artibonite Tal zogen sich zurück, da ihre Bewaffnung für einen wirksamen Schutz nicht zureichend war. Überfälle, Kidnappings (Entführungen zur Lösegelderpressung) und Morde sind seither in allen Dörfern an der Tagesordnung. Im sogenannten Corridor, der Zufahrtsstrasse zum HAS in Deschapelles, wurde Mitte Februar in mehrere Häuser eingebrochen, zwölf Anwesende wurden entführt, meist frühere Mitarbeiter des HAS. Einige der Entführten wurden unterdessen freigelassen, nachdem ihre Familien Lösegeld bezahlt hatten. Sie waren teilweise verletzt durch Folterung durch die Entführer und musssten im HAS behandelt werden.
Auf dem Campus des HAS und am Spital gab es bis jetzt keine direkten Übergriffe.
Die Leitung des HAS hat auf Grund der gefährlichen Situation beschlossen, am 16. Februar 2023 das Ambulatorium zu schliessen und die Versorgung im Spital zu reduzieren. Es werden aber weiterhin alle schwer kranken und verletzten Patienten aufgenommen. Der medizinische Leiter des HAS und Chef der Kinderabteilung, Dr. Maurice Toussaint teilte mir gestern mit, dass bisher sogar alle kranken Kinder aufgenommen werden konnten, deren Eltern trotz den Barrikaden und Gefahren den Weg zum Spital geschafft hatten. Da alle umliegenden Spitäler im Artibonite aktuell geschlossen sind, bleibt die Zahl und der Schweregrad der Kranken und Verletzten im HAS sehr gross. Von den letzten 19 Operierten hatten 13 Schussverletzungen!
Die beiden HAS-Krankenstationen Tienne und Bastien in den Bergen bleiben weiterhin geöffnet!
Wir bewundern den grossen Einsatz der Pflegefachleute, Ärzte und Techniker am HAS, die trotz der lebensbedrohlichen Situation jeden Tag und jede Nacht für die Behandlung der Kranken und Verletzten bereit sind. Die meisten übernachten aus Angst vor Überfällen und Entführungen nicht mehr zu Hause oder auf dem Campus, sondern im Spital auf Feldbetten, in der Bibliothek oder sogar in den Vorräumen der Operationssäle. Wir sind fast täglich mit Mitarbeitenden auf verschiedenen Stufen in telefonischem und elektronischem Kontakt, was sehr geschätzt wird. Aber leider können auch wir ihnen die Angst vor kriminellen Übergriffen nicht wegnehmen. Diese Angst betrifft die ganze Bevölkerung des Artibonite, der grössten Landwirtschaftsregion Haitis. Auch die Bauern sind durch die Kriminalität besonders betroffen, da von den Banden ganze Ernten ausgeraubt werden. Die Versorgung mit Lebensmitteln und die Gesundheit ist auch deshalb, vor allem für Familien und Kinder, zunehmend gefährdet.
HAS CEO Jean Marc deMatteis stellte unterdessen zusätzliche Sicherheitsleute zum Schutz des HAS an. Durch seine guten Kontakte zu Regierungsorganen und Polizeileitungen konnte er erreichen, dass seit gestern, 28. Februar 2023, die Polizeistationen in den Nachbargemeinden Verrettes und Liancourt wieder mit ausreichend bewaffneten Polizisten und Panzerfahrzeugen besetzt sind. Die Polizisten wurden von der Bevölkerung mit grosser Begeisterung empfangen. Es ist vorgesehen, dass eine Gruppe von Polizisten zum Schutz des HAS auf dem HAS-Campus wohnen wird.
Wir hoffen, dass sich die Situation im Artibonite und in ganz Haiti durch vermehrte Sicherheit, Verstärkung der Polizei und hoffentlich auch internationale Unterstützung bald bessert und das HAS und auch die anderen Spitäler sich wieder vollständig für die Gesundheit der Bevölkerung einsetzen können.
Der Vorstand der Schweizer Partnerschaft HAS Haiti hat an seiner letzten Sitzung vom 15. Februar 2023 beschlossen, alle bisherigen Programme und Projekte weiterzuführen und bereit zu sein für weitere dringend notwendige Hilfe. Die Menschen des Artibonite brauchen besonders jetzt, in dieser schwierigen Zeit, alle mögliche Unterstützung.
1.März 2023
Rolf Maibach, Dr.med. Geschäftsleiter der Schweizer Partnerschaft HAS Haiti
Fast pausenlose Versorgung in den Operations-Sälen des HAS