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Helferin mit beharrlichem Willen
Marianne Barthelmy-Kaufmann hat erst am späten Nachmittag Zeit. Eine halbe Stunde Mittagspause muss heute reichen, da ist kein Platz für ein Gespräch. Die 28-Jährige Bernerin ist am vergangenen Wochenende zur Schweizerin des Jahres 2010 gekürt worden. Zusammen mit dem Kinderarzt Rolf Maibach wurde sie für ihren Einsatz im Albert-Schweitzer-Spital Dechapelles in Haiti ausgezeichnet. Zwei Tage danach jagt sie aber nicht etwa von einem Medientermin zum nächsten, sondern schlicht und einfach zur Arbeit. Barthelmy hat die Woche wie gewohnt im Kantonsspital Freiburg begonnen und einen regulären Arbeitstag hinter sich. Die Auszeichnung zur Schweizerin des Jahres hängt sie nicht an die grosse Glocke. «Ich habe versucht, das etwas geheim zu halten», sagt sie. Auch die Réceptionistin im Spital hat erst beim Blick in die Datenbank überrascht festgestellt, dass die Preisträgerin tatsächlich im Spital arbeitet. In der Westschweiz sei das noch kaum bekannt, sagt Barthelmy. «Da habe ich noch Glück gehabt.»
«So spezielle Menschen»
Den Rummel, der sich nun in ihren Alltag drängt, hält Barthelmy für unangebracht. Schliesslich sei das, wofür sie das Publikum auszeichnete, bereits Vergangenheit. Im Mai 2010 endete Barthelmys Aufenthalt auf Haiti nach zweieinhalb Jahren.
Als am Samstagabend in Zürich ihr Name von der Siegerliste verlesen wurde, sass Barthelmy erst einmal regungslos da. Am Bildschirm war zu sehen, wie die zierliche junge Frau ungläubig im Scheinwerferlicht umherblickte, als der 67-jährige Maibach an ihrer Seite zur Dankesrede antrat. Ihre Fassung fand Barthelmy erst danach wieder. Sie habe die Preisverleihung ja selber aus dem Fernsehen gekannt, sagt sie. Und da seien bisher doch stets «so spezielle Menschen» ausgezeichnet worden. «Ich frage mich fast, ob ich dafür genug geleistet habe.»
«Marianne weiss, was sie will»
Barthelmy reiste Anfang 2008 nach Haiti. Für die Stelle als Ausbildungskrankenschwester hatte sie sich bei der Bündner Partnerschaft des Albert-Schweitzer-Spitals gegen mehr als 20 Mitbewerberinnen durchgesetzt. «Ich wusste schon in meiner Ausbildung zur Pflegefachfrau in Biel, dass ich einmal in den Buscheinsatz gehen würde», sagt Barthelmy. Beim ersten Bewerbungsgespräch habe ihr Rolf Maibach, der Geschäftsführer und damalige Medizinische Direktor der Bündner Partnerschaft, auch gleich gesagt, sie sei noch etwas jung. «Aber ich wollte das machen», sagt sie. Schon damals war Maibachs Ehefrau Raphaela, die Vorstandspräsidentin des Vereins, von der jungen Frau tief beeindruckt. Als «sehr spontan, sehr fröhlich, aber auch sehr bestimmt» beschreibt sie diese. «Marianne weiss genau, was sie will.»
Im Einsatz überraschte Barthelmy alle. Trotz politischen Unruhen und verheerenden Überschwemmungen meisterte sie ihre Arbeit im Spital souverän. Dann bebte am 12. Januar die Erde. So stark, dass auch in Dechapelles, mehr als 70 Kilometer von der Hauptstadt Port-au-Prince entfernt, Barthelmy sich am Küchentisch festklammern musste, damit sie nicht umfiel. Sie kehrte ins Spital zurück und realisierte das Ausmass der Katastrophe schlagartig, als schon wenige Stunden nach dem Beben Hunderte Verletzte auf Lastwagen beim Spital ankamen. «Da handelt man einfach», sagt sie. Es bliebe keine andere Wahl, als von einem zum nächsten zu gehen. Und jeder schreie vor Schmerz.
Nothilfe bis zur Erschöpfung
Rolf Maibach kam tags darauf mit den ersten Schweizer Helfern in Haiti an. Und fand im Spital im Team des haitianischen Krankenpersonals eine Tag und Nacht «chrampfende» Barthelmy vor. «Geschlafen hat sie nur so viel, wie nötig war, damit sie weitermachen konnte», sagt Raphaela Maibach. Nach fast drei Wochen Dauereinsatz wurde der jungen Frau eine Pause verordnet. «Wir hatten Angst, dass sie uns zusammenbricht», so Maibach. Barthelmy habe einen ungeheuren Helferwillen.
An die Heimkehr in die Schweiz dachte Barthelmy nie. Auch nicht, als nach Ausbruch von Plünderungen das Botschaftspersonal an die Türe klopfte. Alle Schweizer sollten evakuiert werden. «Jetzt macht es erst recht Sinn, dass ich hier bin», sagte sich die Bernerin. «Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich heimgegangen wäre.» Was die aus Münchenbuchsee Stammende während der Katstrophe erlebte, macht sich erst später bemerkbar. «In Albträumen und so», sagt sie. Nach ihrer Rückkehr habe sie lange gar nicht darüber sprechen können. Nun, da mit der Auszeichnung auch lauter Fragen auf sie zukämen, müsse sie manches ein weiteres Mal verarbeiten. Trotz allen Leides: Im Spital fand sie auch ihr Glück. Wenige Tage nach dem Beben heiratete sie den Haitianer Patrick, der ebenfalls für die Bündner Partnerschaft arbeitete. Heute lebt sie mit ihm in Freiburg. Barthelmys Frohmut hat das Beben nicht erschüttern können. «Sie ist eine sehr stabile und starke Frau», sagt Raphaela Maibach. «Den Preis hat sie wahrlich verdient.» (Der Bund)
(Erstellt: 11.01.2011, 07:33 Uhr)