News & Presse
4 Jahre nach dem Erdbeben in Haiti – Erfolge und Misserfolge!
– Rolf Maibach
Am 12. Januar jährt sich jeweils die Jahrhundertkatastrophe, das Erdbeben, das in Haiti über 300‘000 Tote, mindestens ebenso viele Verletzte und 2 Millionen Obdachlose forderte. Und jedes Jahr schreiben Journalisten und Pressesprecher von grossen Hilfswerken ähnliche Artikel, auch in diesem Jahr. Titel wie „Haiti bleibt am Boden“ oder „Neue Wellblechhütten warten auf das nächste grosse Beben“ (Südostschweiz) malen uns weiterhin ein düsteres Bild über die Aufbauarbeit in diesem armen Land. Das mag für weite Bereiche stimmen, da die Koordination der Hilfsleistungen weder durch den Staat noch durch die Hilfsorganisationen kaum je funktionierte und nach dem Erdbeben zwar ein Überangebot von Hilfsorganisationen bestand, aber häufig nicht professionell gearbeitet wurde. Viele Hilfsorganisationen waren nach dem Erdbeben nur aus Prestigegründen in Haiti und schadeten wohl eher dem Land und den Menschen. An manchen Hilfsstellen wurden unnötige Amputationen bei jungen Verletzten vorgenommen, wie wir in unserer Prothesen Werkstatt bei vielen der dann zu uns gebrachten über 1500 amputierten Menschen feststellen mussten. Grosse Bauprojekte scheiterten, weil sie nicht vor Ort zusammen mit den einheimischen Haitianern erarbeitet wurden, sondern „zu Hause“, in Genf, in Bern oder anderswo entwickelt und dann in Haiti „implementiert“ wurden. Organisationen, die Projekte in Haiti selbst, zusammen mit Leuten vor Ort entwickeln, sind viel erfolgreicher und nachhaltiger und schaffen erst noch mehr Arbeitsplätze. Dafür braucht es aber ein grösseres Engagement, den Willen und die Fähigkeit, sich an andere Gegebenheiten und Menschen anzupassen, sie aber auch für eine Zusammenarbeit zu motivieren und nicht zuletzt eine gute Portion Durchhaltevermögen.
Stereotyp wird in den Medien immer wieder die hohe Kriminalität erwähnt, ohne dass dafür irgendwelche Beweise geliefert werden. Zwar war die Kriminalität in Haiti nach dem Sturz von Präsident Aristide 2004 hoch: Gewaltsame Entführungen mit Todesfolge passierten vor allem in der Hauptstadt häufig; aber diese schlimme Situation besserte sich seither zunehmend, da die haitianische Polizei durch die UNO (MINUSTAH) kontinuierlich geschult wurde und selbstbewusster und professioneller wurde. Das Büro für Drogen und Kriminalität der UNO bestätigte sogar schon für das Erdbebenjahr 2010, dass die Mordrate in Haiti nur halb so hoch war wie in der benachbarten Dominikanischen Republik, viermal geringer als in Jamaica und sogar nur 10% der Rate in Honduras oder Guatemala betrug (zitiert aus der NZZ vom 12.1.2013). Das heisst noch nicht, dass Haiti ein sicheres Land ist; die durch die Aussenministerien der Industrieländer ausgesprochenen Reisewarnungen für Touristen bestehen zu Recht, und auch wir halten uns an Vorsichtsmassnahmen wie Nachtfahrverbot für Fahrten ausserhalb unserer Umgebung etc.
Vor der Gründung des Hôpital Albert Schweitzer Haiti im Jahre 1956 war das Artibonite Tal eine der ärmsten Regionen Haitis. Das ist heute nicht mehr so. Das Albert Schweitzer Spital hat als wichtigster Arbeitgeber des Tals mit ca. 550 Mitarbeitern (über 98% davon Haitianer) nicht nur die Gesundheit der Menschen in diesem Tal verbessert, sondern durch Aufforstungsprogramme, Verbesserung der Wasserversorgung in den Dörfern (über 200 Wasserstellen mit sauberem Trinkwasser), Veterinärprogramme für Nutztiere etc. die Lebenssituation grundlegend verändert. Nach dem Erdbeben und während der Choleraepidemie konnte das Spital nicht nur tausende von Verletzten und Kranken behandeln, sondern die Region konnte auch 160‘000 Flüchtlinge aus den schlimmsten Erdbebengebieten aufnehmen (UNO Bericht, OCHA) und ihnen eine neue Existenz verschaffen. Leider ist es Mode, über arme Länder in den Medien nur negativ zu berichten. Es gäbe aber viele Möglichkeiten einer differenzierteren Berichterstattung, z.B. über Entwicklungsprogramme, die nicht von grossen Organisationen von aussen implementiert werden, sondern im Lande selbst erfolgreich in Zusammenarbeit mit Einheimischen durchgeführt werden. Unsere Art der Zusammenarbeit in Haiti nennen wir „Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Respekt, Bescheidenheit, Bestimmtheit, Humor und Liebe“ – es braucht alle fünf (!) - und es ist unser Erfolgsmodell seit vielen Jahren!